Im Kern handelt es sich um ein XML-basiertes Austauschformat, das eine strukturierte, standardisierte Beschreibung und Übertragung von Daten zu Einzelobjekten oder komplexen Sammlungen zwischen unterschiedlichen Institutionen ermöglicht.
LIDO fokussiert sich auf die Erfassung vielschichtiger Informationen zu physischen oder digitalen Objekten wie Kunstwerken, Kunsthandwerk, Fotografien, Handschriften, Nachlässen, wissenschaftlichen Instrumenten oder Ausstellungsstücken - auch in Sondersammlungen von Bibliotheken oder Archiven. LIDO trägt somit wesentlich zur Interoperabilität und digitalen Sichtbarkeit kulturhistorischer Datenbestände bei.
Historische Entwicklung von LIDO
LIDO wurde ab 2010 in einer internationalen Arbeitsgruppe unter Führung des ICOM CIDOC (International Council of Museums - Committee on Documentation) entwickelt. Grundlage waren die internationalen Erfahrungen mit den Vorgängerstandards CDWA Lite und museumdat, die beide wichtige konzeptionelle Impulse für den Aufbau von LIDO gaben.
Das Ziel: Ein flexibles, erweiterbares, institutionenübergreifend nutzbares Austauschformat, das aktuellen und künftigen Anforderungen der Museums- und Sammlungsgemeinschaft gerecht wird. LIDO wird bis heute von der CIDOC LIDO Working Group gemeinsam mit der internationalen Community weiterentwickelt, aktuell ist Version 1.1 in Entwicklung und diskutiert werden unter anderem erweiterte Szenarien für 3D-Objekte, audiovisuelle Medien und Born-digital-Objekte.
Technische Grundlagen und Datenmodell von LIDO
Die technische Basis von LIDO bildet ein XML-Schema, ergänzt durch Schematron- und RelaxNG-Validierungen für umfassende Konformitätsprüfungen. LIDO etabliert ein dezidiert "eventbasiertes" Datenmodell, das einen Bruch mit früheren, überwiegend objektorientierten Ansätzen darstellt. Dieses Paradigma konzentriert sich darauf, nicht nur den Zustand eines Objekts zu beschreiben, sondern vor allem dessen Lebensweg und Kontexte: Zentrale Elemente dokumentieren Ereignisse wie Erwerbungen, Schaffungsprozesse, Restaurierungen oder Ausstellungen. Daneben werden Akteure (Personen, Institutionen), Orte und Zeitangaben in klar definierten Beziehungen abgebildet. So unterstützt LIDO eine besonders ausdrucksstarke, flexible Modellierung auch komplexer Objektgeschichten.
Die wichtigsten XML-Elemente sind:
lido:lido
: Wurzelelement des gesamten Metadatensatzes.lido:descriptiveMetadata
: Enthält alle inhaltlichen Informationen zum Objekt (z.B. Identifikator, Titel, Ereignisse, Akteure, Orte, rechtliche Hinweise).lido:administrativeMetadata
: Beinhaltet technische und administrative Angaben wie Erstellungsdatum, Bearbeiter oder Lizenzinformationen.lido:eventSet
: Dokumentiert einzelne Lebensereignisse des Objekts und verknüpft diese mit weiteren Informationen.lido:actor
und lido:place: Liefern normierte Angaben zu beteiligten Personen/Institutionen sowie zu geografischen Orten.
Beispiel für ein LIDO-XML-Snippet:
<lido:lido xmlns:lido="http://www.lido-schema.org">
<lido:descriptiveMetadata>
<lido:objectIdentificationWrap>
<lido:titleWrap>
<lido:titleSet>
<lido:appellationValue>Porträt eines Künstlers</lido:appellationValue>
</lido:titleSet>
</lido:titleWrap>
</lido:objectIdentificationWrap>
<lido:eventWrap>
<lido:eventSet>
<lido:event>
<lido:eventType>Herstellung</lido:eventType>
<lido:eventActor>
<lido:actor>
<lido:nameActorSet>
<lido:appellationValue>Johann Schmidt</lido:appellationValue>
</lido:nameActorSet>
</lido:actor>
</lido:eventActor>
<lido:eventDate>
<lido:date>1886</lido:date>
</lido:eventDate>
</lido:event>
</lido:eventSet>
</lido:eventWrap>
</lido:descriptiveMetadata>
<lido:administrativeMetadata>
<lido:recordID>12345-001-2022</lido:recordID>
</lido:administrativeMetadata>
</lido:lido>
Ein umfassendes Elementverzeichnis sowie die empfohlene Hierarchie und Mindestanforderungen ("Minimum Requirements") sind in der offiziellen Dokumentation aufgeführt.
LIDO im Kontext von Bibliotheken, Archiven und Sondersammlungen
Obwohl LIDO für museale Sammlungen entworfen wurde, findet der Standard in Spezialbereichen von Bibliotheken und Archiven zunehmenden Einsatz. Besonders geeignet ist LIDO, wenn es um Objektbestände geht, die nicht oder nicht ausschließlich über klassische bibliographische Metadaten erschlossen werden - etwa bei Nachlässen, handschriftlichen Materialien, Medaillen, Grafiken, realia oder unikalen Sammlungsbeständen.
Der Standard ermöglicht einen detailreichen, strukturübergreifenden Austausch und die Kontextualisierung dieser Objekte, weshalb er in Forschungsinformationssystemen, speziellen Sammlungsmanagementtools und in der digitalen Präsentation oft genutzt wird. Im klassischen Bibliotheksmanagement (von Büchern oder Zeitschriften) kommen hingegen weiterhin Standards wie MARC21 oder MODS zum Einsatz.
Rolle von kontrollierten Vokabularen, Normdaten und Referenzsystemen
LIDO setzt stark auf die Nutzung kontrollierter Vokabulare und Normdaten wie GND (Gemeinsame Normdatei), VIAF (Virtual International Authority File) oder Geonames, um Angaben zu Personen, Orten, Institutionen und Ereignissen zu standardisieren. Dies erhöht die Datenqualität, fördert die Anreicherung durch Linked Open Data und verbessert die internationale Interoperabilität.
Die Nutzung der von der LIDO-Community empfohlenen "LIDO Terminology" und von externen Repositorien für Thesauri und Vokabularien wird explizit unterstützt.
Vorteile von LIDO im Informationsmanagement
Die Nutzung von LIDO bietet Institutionen zahlreiche Vorteile bei der Verwaltung und Veröffentlichung komplexer Sammlungsdaten:
- Standardisierte, strukturierte Daten: LIDO ermöglicht konsistente, nachvollziehbare Metadaten über System- und Ländergrenzen hinweg.
- Interoperabilität: LIDO erleichtert den Austausch mit Museums-, Archiv- oder Forschungsportalen und erfüllt internationale Interoperabilitätsstandards (u.a. Europeana).
- Erfassung komplexer Objektinformationen: Detaillierte Angaben zu Provenienz, Restaurierungsmaßnahmen, Nutzungsgeschichte, Ausstellungen und Besitzwechseln sind möglich.
- Mehrsprachigkeit: Die Mehrsprachigkeit wird technisch unterstützt, ihre praktische Umsetzung erfordert jedoch organisatorische und datenmodellseitige Planungen.
- Flexibilität und Erweiterbarkeit: Vom einzelnen Objekt bis zur umfassenden Sammlung lässt sich nahezu jedes Szenario abbilden - auch modular mit fakultativen Elementen.
- Nachhaltigkeit und digitale Langzeitarchivierung: Das maschinenlesbare, offene XML-Format erleichtert die Bestandserhaltung. Die digitale Langzeitarchivierung ist dennoch mit Herausforderungen verbunden (Technologiewechsel, Formatmigration, Abhängigkeiten vom Datenmodell).
Verhältnis zu anderen Metadatenstandards
LIDO grenzt sich klar von anderen etablierten Metadatenstandards im Informationsmanagement ab:
- MARC21, MODS: Für bibliographische Beschreibungen (wie Bücher oder Zeitschriften) sind MARC21 und MODS konzipiert, LIDO konzentriert sich dagegen auf Objekt- und Sammlungsdaten.
- Dublin Core: Bietet eine sehr reduzierte, generische Beschreibung für unterschiedliche Ressourcentypen, eignet sich jedoch weniger für die detaillierte Objektmodellierung.
- EAD (Encoded Archival Description): Wird im Archivwesen für die Erschließung ganzer Nachlassbestände oder Aktenserien verwendet. LIDO hingegen ist feingranular auf Einzelobjekte oder -gruppen zugeschnitten.
- CDWA Lite und museumdat: Beide waren wesentliche Vorläufer; insbesondere museumdat prägte das eventbasierte Datenmodell.
- Integrationen und Transformationen zwischen LIDO und anderen Standards sind häufig, erfordern aber sorgfältiges Mapping und unterstützen die übergreifende Datenbereitstellung für unterschiedliche Plattformen.
Typische Herausforderungen und Fallstricke
Die Arbeit mit LIDO bringt diverse Herausforderungen mit sich:
- Komplexität des Datenmappings: Die Übertragung bestehender Datenstrukturen auf die LIDO-Elemente ist anspruchsvoll, insbesondere bei Altbeständen oder heterogenen Quellen.
- Sicherstellung der Datenqualität: Fehlerhafte, unvollständige oder nicht normierte Daten beeinträchtigen die Exportqualität; automatisierte und manuelle Validierung ist unabdingbar.
- Umsetzung der Mehrsprachigkeit: Technisch unterstützt, inhaltlich aber aufwändig und fehleranfällig bei inkonsistenter Pflege.
- Feldnutzung und Konsistenz: Die Vielzahl an optionalen Feldern und Varianten erfordert institutionelle Leitlinien und klare Mapping-Strategien.
- Langzeitarchivierung: Nachhaltige Archivierung ist möglich, bedarf aber eines professionellen Datenmanagements und regelmäßiger Migration auf aktuelle Formate.
Tools, Community und Weiterentwicklung
LIDO ist ein offener und community-betriebener Standard. Die Weiterentwicklung und Qualitätssicherung erfolgt transparent durch die CIDOC LIDO Working Group und internationale Fachkreise. Unterstützt wird dies von Mailinglisten, jährlichen Konferenzen und Fachworkshops (z.B. CIDOC-Konferenzen). Es gibt zahlreiche Werkzeuge zur Erstellung, Prüfung und Transformation von LIDO-Daten:
- Validatoren: LIDO Validator, Online XML Schema Validatoren, Schematron-Prüfungen
- Editoren: LIDO Editor, CollectiveAccess, XMP Editor (kein dedizierter LIDO-Editor), individuelle Mappings in CMS-Lösungen
- Collections Management Systeme: MuseumPlus, TMS, Athena, Adlib, IMDAS Pro, CollectiveAccess, Zetcom, und weitere Systeme bieten Export- und ggf. Importfunktionen für LIDO
- Transformations-Tools: XSLT-Stylesheets für Mappings zwischen LIDO und anderen Formaten
- APIs: Viele Systeme bieten Schnittstellen für den automatisierten LIDO-Export oder -Import.
Aktuelle Entwicklungen und Diskussionsstränge (z.B. RFCs zu LIDO v1.1 und v2.0) werden über die CIDOC-Website und Community-Foren kommuniziert.
Praktische Einsatzbeispiele von LIDO
- Digitale Sammlungsportale: Bereitstellung von Objektinformationen für nationale Plattformen wie die Deutsche Digitale Bibliothek, internationale Initiativen wie Europeana oder das Nasjonalmuseet Oslo.
- Kooperative Online-Ausstellungen: Gemeinsame Nutzung und Kontextualisierung von Objekten in Verbundprojekten, etwa durch Museumsnetzwerke.
- Forschungsinformationssysteme: Vernetzung von musealen Objektinformationen mit weiteren Forschungsdaten auf institutioneller Ebene.
- Langzeitarchivierung und Open Data: Nutzung des LIDO-Modells für nachhaltige Sicherung, Nachnutzung und offene Bereitstellung von Objektinformationen, auch in Linked Open Data-Umgebungen.
Ressourcen und Weiterbildungsangebote
Zahlreiche Ressourcen erleichtern Ihnen den Einstieg und die fortgeschrittene Nutzung von LIDO:
- Offizielle Dokumentation und Handbuch: Empfehlungen, Schemata und Beispiele auf der LIDO-Seite.
- Community-Angebote: Austausch über Mailinglisten, Diskussionsgruppen und regelmäßige internationale Workshops, etwa im Rahmen der CIDOC-Konferenzen.
- Online-Tutorials und Minimum Requirements: LIDO Minimum Requirements, weiterführende Mappings und Kurzanleitungen.
- Beispiele und Referenzprojekte: Fallstudien und Implementierungen, etwa von Europeana oder der Deutschen Digitalen Bibliothek.
LIDO-kompatible Systeme und Exportoptionen
LIDO wird von zahlreichen etablierten Museums- und Sammlungsmanagementsystemen wie MuseumPlus, TMS, Athena, IMDAS Pro, Adlib, CollectiveAccess und weiteren unterstützt. Forschungsinformationssysteme, spezialisierte Datenanreicherungs- oder Metadatenmanagementlösungen bieten oftmals zusätzliche Export- und Importwege für LIDO.
Der Standard findet aufgrund seiner Flexibilität auch in ausgeweiteten Anwendungsszenarien, wie bei der Präsentation von Sammlungen im Online-Sektor oder für Forschungsdaten, Einsatz.
Lizenzierung und Offenheit
LIDO ist offen lizenziert und steht zur freien Nutzung und Implementierung bereit. Die LIDO-Spezifikation und die bereitgestellten Schemata unterliegen dabei einer Creative Commons-Lizenz (in der Regel CC BY 4.0), ihre Weiterentwicklung erfolgt transparent im Austausch mit der internationalen Community. Versionierungsinformationen und Lizenztexte finden Sie in der offiziellen Dokumentation.
Häufige Fragen zu LIDO
Was ist der Hauptzweck von LIDO?
LIDO dient als standardisiertes XML-basiertes Austauschformat für detaillierte, strukturierte Informationen über museale, sammlungsbezogene und verwandte Objekte. Ziel ist es, Informationsflüsse zwischen verschiedenen Systemen zu vereinheitlichen und digitale Sammlungen interoperabel nutzbar zu machen.
Für welche Einrichtungen ist LIDO geeignet?
LIDO ist insbesondere für Museen, Gedächtnisinstitutionen, Archive und Bibliotheken mit Sondersammlungen sowie für Forschungsverbünde und digitale Plattformen geeignet, die Sammlungs- oder Objektinformationen detailliert erfassen, verwalten und teilen möchten.
Welche Rolle spielt LIDO bei Europeana?
Europeana akzeptiert LIDO als ein zentrales Austauschformat für Kultur- und Sammlungsobjekte. LIDO erleichtert die Aggregation, Recherche und Präsentation von Objekten aus ganz Europa auf der Europeana-Plattform.
Worin unterscheidet sich LIDO von anderen Metadatenstandards wie MARC21 oder Dublin Core?
LIDO ist explizit für objekt- und sammlungsbezogene, nicht-bibliographische Daten entwickelt worden und unterstützt ein feingranulares, eventbasiertes Modell. MARC21 ist auf bibliographische Medien zugeschnitten, Dublin Core auf generische, weniger detaillierte Beschreibungen unterschiedlicher Ressourcen.
Welche technischen Voraussetzungen gibt es für die Einführung von LIDO?
Die Implementierung von LIDO setzt ein geeignetes IT-System, grundlegende XML-Kenntnisse, abgestimmte Datenmodelle und idealerweise Expertise im Datenmapping voraus. Je nach Legacy-System ist eine individuell angepasste Schnittstellenkonfiguration nötig.
Wie kann die Datenqualität im LIDO-Format sichergestellt werden?
Die Datenqualität wird durch konsequente Anwendung kontrollierter Vokabulare, regelmäßige automatische und manuelle Validierungen (z.B. mittels XML Schema, Schematron), klare interne Richtlinien und gezielte Mitarbeiterschulungen gewährleistet.
Welche aktuellen Entwicklungen gibt es in der LIDO-Community?
Die LIDO-Community arbeitet kontinuierlich an neuen Versionen (LIDO 1.1 und LIDO 2.0), erweitert die Anwendungsbereiche (z.B. für 3D-Objekte, audiovisuelle Medien), erprobt neue Mapping-Tools und formuliert Mindestanforderungen für Datenlieferungen ("Minimum Requirements").
Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für Neueinsteiger?
Neben der offiziellen Dokumentation stehen Community-Foren, Mailinglisten, regelmäßig stattfindende Workshops und international getragene Projekte als Anlaufstelle zur Verfügung.