Ziel dieses Standards ist es, den strukturierten und zuverlässigen elektronischen Austausch von Fernleihanfragen sowie Status- und Verwaltungsinformationen zwischen unterschiedlichen Bibliotheksmanagementsystemen und Fernlehinfrastrukturen zu ermöglichen.
ISO 10161 trägt damit wesentlich zur Interoperabilität von Bibliotheken mit unterschiedlichen technischen Lösungen bei - unabhängig davon, welches lokale System für das Management der Medien oder der Nutzer verwendet wird.
Auch in einer zunehmend digitalen und global vernetzten Informationslandschaft bleibt die Fernleihe eine unerlässliche Dienstleistung, um Medienressourcen über Institutions- und Landesgrenzen hinweg zugänglich zu machen.
Mit einer korrekt implementierten und konfigurierten ISO-10161-Schnittstelle lassen sich Arbeitsabläufe zwischen Fernleihpartnern deutlich optimieren, die Servicequalität erhöhen und vorhandene Ressourcen effizienter nutzen - vorausgesetzt, alle beteiligten Systeme erfüllen die Spezifikation vollständig und wurden sorgfältig integriert.
Historische Entwicklung und Kontext
ISO 10161 wurde erstmals 1993 veröffentlicht und entstand aus dem Bedürfnis, verschiedene Fernleihsysteme international miteinander zu vernetzen. Federführend beteiligt waren Expertengremien aus den Bereichen Bibliothekswesen, Dokumentenlieferung und Informationsmanagement.
Der Standard wurde vor allem für bibliothekarische Zwecke entwickelt, ist jedoch nicht auf bestimmte Systemlandschaften beschränkt. Seine Einführung machte den Weg frei für große Verbundlösungen, die den internationalen Fernleihverkehr maßgeblich vereinfacht haben - beispielsweise durch die Unterstützung von Systemen wie OCLC oder BIBSYS.
ISO 10161 wird stets in Kombination mit ISO 10160 eingesetzt. Während ISO 10161 das Protokoll für den Nachrichtenaustausch beschreibt, legt ISO 10160 Begriffe und Definitionsgrundlagen für Fernleihe fest. Zusammen schaffen diese Standards die Voraussetzungen für Klarheit, Nachvollziehbarkeit und Interoperabilität im technischen wie organisatorischen Ablauf von Fernleihdiensten.
Was regelt ISO 10161?
ISO 10161 definiert ein standardisiertes Protokoll für die strukturierte Kommunikation aller Fernleih-relevanten Vorgänge. Dadurch können beteiligte Bibliotheken Medienwünsche, Statusmeldungen und Nachfragen unabhängig von ihren jeweiligen Systemarchitekturen elektronisch austauschen.
Wichtig zu beachten ist, dass sich ISO 10161 ausschließlich auf diese Fernleihtransaktionen bezieht und kein generelles Kommunikationsprotokoll für beliebige Bibliotheksmanagementsysteme ist.
Folgende Kernfunktionen werden protokollarisch abgedeckt:
- Übermittlung und Verwaltung von Leihanfragen: Eine Bibliothek kann über definierte Anfragen (REQUEST) Medien wie Bücher, Zeitschriftenartikel oder elektronische Dokumente bei einer anderen Bibliothek anfordern, unabhängig von deren Katalogstruktur.
- Statuskommunikation: Diverse Statusmeldungen (z. B. ANSWER, STATUS, SHIPPED, RECEIVED) sorgen dafür, dass beide Seiten - ausleihende („Borrowing Library“) und verleihende Bibliothek („Supplying Library“) - stets über den aktuellen Bearbeitungsstand informiert sind.
- Reklamationen und Nachfragen: ISO 10161 spezifiziert exakte Nachrichtenarten für die Behandlung von Rückfragen, Mahnungen oder Reklamationen, um komplexe Kommunikationsprozesse zuverlässig abzubilden.
- Automatisierbare Workflows: Wenn alle Systempartner die ISO-10161-Nachrichten vollständig implementieren und korrekt konfigurieren, lassen sich viele Arbeitsschritte automatisiert abbilden.
- Nachvollziehbarkeit: Auch wenn ISO 10161 keine Archivierung vorgibt, ermöglicht seine konsequente Anwendung eine durchgängige Protokollierung aller Nachrichten, was die interne Dokumentation innerhalb der IT-Systeme der jeweiligen Bibliothek unterstützt.
Das Protokoll basiert technisch auf dem Austausch strukturierter Nachrichten, deren Inhalt und Ablauf detailliert über die Standardbeschreibung vorgegeben werden. Die Kodierung erfolgt in der Regel mittels ASN.1 (Abstract Syntax Notation One).
Wichtige Nachrichtenarten (Auswahl)
- REQUEST: Initiale Fernleihanfrage.
- ANSWER: Antwort auf Leihanfrage (z. B. Annahme oder Ablehnung).
- STATUS: Aktualisierung oder Information zum Bearbeitungsstand einer Anfrage.
- SHIPPED: Versandbestätigung des Mediums.
- RECEIVED: Bestätigung des Eingangs beim Empfänger.
- RECALL / OVERDUE: Mahnung oder Rückforderung.
Weitere Nachrichtenarten ermöglichen den Abbruch, die Modifikation oder die Eskalation von Fernleihtransaktionen.
Bedeutung von ISO 10161 im modernen Bibliotheksmanagement
Die Digitalisierung und Globalisierung im Bibliothekswesen führt zu komplexen Systemlandschaften und heterogenen Arbeitsprozessen. Der Einsatz von ISO 10161 ist daher maßgeblich für:
- Interoperabilität: Unterschiedliche Bibliotheksmanagementsysteme - etwa in wissenschaftlichen Einrichtungen, Forschungsinstituten, öffentlichen oder Spezialbibliotheken - können ohne kostenintensive Einzelanpassungen nach einheitlichen Protokollregeln Daten austauschen. Individuelle Entwicklungen entfallen jedoch nicht immer vollständig, da unterschiedliche Implementierungen Anpassungsbedarf verursachen können.
- Prozesseffizienz: Standardisierte Nachrichtenwege reduzieren Fehlkommunikation, sparen Zeit und vereinfachen die Prozesskontrolle im Fernleihalltag, insbesondere bei hoher Auftragslast.
- Flexibilität und internationale Zusammenarbeit: ISO 10161 ist weltweit verbreitet, wodurch nationale und grenzüberschreitende Verbünde gebildet werden können. Bekannte Softwareprodukte wie OCLC WorldShare ILL, Aleph, BIBSYS oder internationale nationale Verbundsysteme nutzen diesen Standard.
- Transparenz und Qualitätssicherung: Durch die konsistente Protokollierung der Fernleihnachrichten in den eigenen Systemen sind interne Nachweise, Statistiken oder Audits einfacher zu führen. Die tatsächliche Dokumentationspflicht obliegt jedoch der jeweiligen Bibliothek.
- Zukunftsfähigkeit durch Erweiterbarkeit: Systeme, die ISO 10161 unterstützen, können meist schrittweise für neue Standards wie ISO 18626 migriert werden.
Gerade in Verbundstrukturen oder bei internationalen Kooperationen bildet ISO 10161 das technische Rückgrat für einen reibungslosen und nachvollziehbaren Fernleihbetrieb.
Technische Details und typische Workflows
Das Nachrichtenformat von ISO 10161 verwendet ASN.1 zur Datenmodellierung, was eine strenge Strukturiertheit und exakte Validierung der Inhalte ermöglicht. Die Kommunikation erfolgt in klar definierten Transaktionsmustern. Ein typischer Ablauf sieht folgendermaßen aus:
- Eine Bibliothek (Borrowing Library) stellt eine REQUEST-Anfrage an eine andere Bibliothek (Supplying Library).
- Die angefragte Bibliothek antwortet mit ANSWER (Zustimmung, Ablehnung oder Alternativangebot).
- Bei Annahme übermittelt die Supplying Library ggf. eine SHIPPED-Nachricht, sobald das Medium versandt wurde.
- Eingang und Rückgabe werden durch RECEIVED-, RETURNED- oder RECALL-Nachrichten bestätigt bzw. eingeleitet.
- Reklamationen, Nachfragen oder Statusabfragen (z. B. OVERDUE) erfolgen über spezifische Nachrichtenarten.
Diese Transparenz mindert kommunikative Verzögerungen, unterstützt die Fehlervermeidung und vereinfacht das Monitoring umfangreicher Fernleihvorgänge.
Grenzen, Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven
- Komplexität: ISO 10161 ist sehr detailliert und technisch anspruchsvoll, was Implementierungen und Fehlerdiagnosen erschwert. Verschiedene Auslegungen führen zu Anpassungsbedarf, besonders bei der Vernetzung von Systemen aus unterschiedlichen Ländern oder Entwicklungsständen.
- Nicht universell vorgeschrieben: ISO 10161 ist zwar international anerkannt, jedoch keine zwingende Vorgabe für alle Bibliotheken. Alternative Protokolle oder bilaterale Schnittstellen können ebenso verwendet werden.
- Langsame Entwicklung neuer Funktionen: Aufgrund der Komplexität und technischen Basis (ASN.1) gestaltet sich die Weiterentwicklung langsam, während moderne Anforderungen - insbesondere an digitale Dokumentlieferdienste - schuldfähigere und flexiblere Protokolle notwendig machen.
Aktuelle Alternativen: ISO 18626
Mit ISO 18626 („Interlibrary Loan Transactions“) wurde 2017 ein neuer Standard eingeführt, der strukturell einfacher (XML/JSON-basiert), modularer und für Webservices optimiert ist.
ISO 18626 reduziert die Komplexität, erleichtert die Integration in zeitgemäße IT-Landschaften und ist besonders für cloudbasierte Systeme attraktiv. Einige nationale oder internationale Verbünde und Softwareanbieter entwickeln derzeit Migrationspfade von ISO 10161 auf ISO 18626.
Vergleich:
- ISO 10161: ASN.1, sehr detailliert, bewährt bei etablierten Systemen.
- ISO 18626: XML/JSON, modern, leichter zu implementieren und zu warten.
Integration von ISO 10161 in Bibliotheksmanagementsysteme
Für Fernleihdienste, die auf nationale oder internationale Vernetzung setzen, ist die Auswahl der Softwarelösung entscheidend. Nicht jedes auf dem Markt verfügbare System unterstützt ISO 10161 nativ - informieren Sie sich daher vorab sorgfältig beim Anbieter oder in der technischen Dokumentation.
Praxisorientierte Hinweise:
- Unterstützung und Implementierungsgrad prüfen: Vergewissern Sie sich, dass Ihre eingesetzte Software eine vollständige und aktuelle ISO-10161-Implementierung bietet. Ein einheitliches Zertifizierungsverfahren existiert nicht; erfolgreiche Praxisimplementierungen bei bestehenden Partnern sind jedoch ein gutes Indiz.
- Regelmäßige Funktionstests: Testen Sie Ihre Systeme mit den wichtigsten Kooperationspartnern auf Kompatibilität, um unerwartete Kommunikationsabbrüche oder Fehlerquellen frühzeitig zu entdecken.
- Schulungen und Dokumentation: Machen Sie Ihre Fernleihteams mit den technischen und prozessualen Anforderungen des Protokolls vertraut.
- Zukunftsfähigkeit bedenken: Legen Sie Wert auf die Anpassungsfähigkeit Ihres Systems, um zum Beispiel später eine Migration auf ISO 18626 oder die Integration weiterer Normen (etwa DIN 31640 für den deutschen Fernleihverkehr) zu ermöglichen.
Weitere Ressourcen
- IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions): Arbeitsgruppen zu Fernleihe und Dokumentenlieferung.
- DIN 31640: Verwaltung von Fernleihverfahren in Deutschland.
- NISO (National Information Standards Organization): Koordinationsstelle für internationale Bibliotheksstandards.
Häufige Fragen zu ISO 10161
Was ist der Unterschied zwischen ISO 10161 und ISO 10160?
ISO 10160 definiert die zentralen Begriffe, Rollen, Nachrichtenarten und Statuswerte für den Fernleihprozess. ISO 10161 regelt das eigentliche Nachrichtenprotokoll und die technische Kommunikation zwischen Systemen. Beide Standards werden gemeinsam im Fernleihkontext verwendet.
Kann ISO 10161 für andere Zwecke als die Fernleihe verwendet werden?
ISO 10161 wurde explizit für Fernleihtransaktionen entwickelt. In Einzelfällen findet das Protokoll auch Anwendung in artverwandten Prozessen (wie bestimmten Dokumentlieferdiensten), ist jedoch nicht als generelle Lösung für beliebige Kommunikationsprozesse zwischen Bibliothekssystemen gedacht.
Muss jedes Bibliotheksmanagementsystem ISO 10161 integrieren?
Eine Integration empfiehlt sich, wenn Ihre Bibliothek aktiv im nationalen oder internationalen Fernleihservice tätig ist und einen interoperablen Austausch mit anderen Institutionen anstrebt. Es existieren jedoch auch alternative Protokolle und bilaterale Schnittstellen, die genutzt werden können - etwa regionale Eigenentwicklungen oder der neue Standard ISO 18626.
Ist ISO 10161 noch zeitgemäß oder gibt es modernere Alternativen?
ISO 10161 ist weiterhin in etablierten Fernleihnetzen verbreitet und bewährt. Für moderne, digitalisierte oder cloudbasierte Infrastrukturen wird zunehmend auf die Nachfolgeprotokolle wie ISO 18626 zurückgegriffen, die eine einfachere Implementierung und flexiblere Einbindung erlauben.
Wie kann ich herausfinden, ob meine Bibliothekssoftware ISO 10161 unterstützt?
Erkundigen Sie sich direkt bei Ihrem Softwareanbieter nach der Implementierungstiefe und Erfahrungen im produktiven Betrieb. Zertifizierungen werden zentral nicht vergeben, allerdings können Referenzinstallationen, technische Dokumentationen oder positive Beispiele aus Verbundsystemen Hinweise auf eine funktionierende Unterstützung geben.
Welche Herausforderungen müssen bei der Implementierung von ISO 10161 beachtet werden?
Die Komplexität des Standards, unterschiedliche Auslegungen in der Implementierung sowie die technische Basis (ASN.1) erfordern sorgfältige Einrichtung, laufende Tests und eine enge Abstimmung zwischen den beteiligten IT-Teams. Anwenderschulungen und das Monitoring der Fernleihprozesse sind ebenfalls wichtige Erfolgsfaktoren.
Wie läuft die Migration von ISO 10161 zu ISO 18626 ab?
Eine Migration erfordert eine enge Planung zwischen den beteiligten Institutionen, da sich sowohl das Datenmodell als auch die Kommunikationswege unterscheiden. Die wichtigsten Schritte umfassen die Analyse der bestehenden Prozesse, die Anpassung der Schnittstellen, umfangreiche Testphasen sowie ggf. Übergangslösungen, solange beide Protokolle parallel genutzt werden. Ihr Softwareanbieter unterstützt Sie bei der technischen Umstellung.